Im Gesang vergißt das Kind, das Krieg ist

Hugo Löbmann (in: Deutsche Schulpraxis - Wochenblatt für deutsche Lehrkunst, für Geschichte und Schrifttum der Erziehung und des Unterrichts)

Der neue Plan umging die Klippe und kürzte allgemein. Auf diese Weise  blieb die Zahl der ‚^Nebenfächer“ gewahrt. So kam es, daß der Jugend die Wohltat Singens, des Liedersingens gesichert blieb. Damit hat die beratende und maßgebende Behörde bewiesen, daß sie vor allem eine allgemeine, eine „harmonische“ Ausbildung des Kindes gesichert sehen will. „Harmonisch“ – es ist ein verachtetes Wort geworden. „Harmonische Ausbildung“ – man meint so vielfach, dieses Wort passe so gar wenig in unsere „hellsehend“ gewordene „praktische“ Zeit. Seit der Einfluß des Münchner Schulwesens auch in Norddeutschland sich geltend gemacht hat, ist der Börsenwert des „Praktischen“ stark gestiegen. Jetzt heißt es vielerorts „in der Schule lernen für das Leben“, lernen für den Beruf. Die im Berufsleben sich vollziehende Verengung des Bewußtseins wird jetzt schon in den Jahren des Volksschullebens künstlich herbeigeführt.

Und doch – ob nicht all diese Sondererziehung der werdende Mensch bezahlen muß mit seinem Glück. Je mehr das Lernen danach gewertet wird, was es einst „einbringt“, desto mehr wird der einzelne die Einstellung seines Ich für die Gesamtheit, für das wohl des Einzelnen davon abhängig machen, welchen Vorteil diese Beziehung einbringt. Das Praktischmachen des Unterrichts setzt sich leider nur allzu sicher um in Selbstsucht. Und was Selbstsucht ins Große übersetzt, bedeuten will, das hat gerade unser Deutschland an seinem eigenen Leibe zu spüren bekommen. An diesem furchtbarsten aller Kriege ist „heiliger Egoismus“ schuld. Wenn sich ein Volk unglücklich machen will, dann hat man es nur anzuleiten, recht „praktisch“ denken zu lernen. Das übrige kommt selbst.

Gemessen gerade an unseren Zeitläufen will uns die alte Forderung eines Pestalozzi nach „harmonischer“ Bildung doppelt wertvoll und „praktisch“ erscheinen. Und zu dieser Harmonie der Lehre und Geisteszucht gehört neben der Bildung des Geistes die Vervollkommnung des seelischen Trieblebens nach Seite der Sozialpädagogik. Die Seele des Kindes muß warm gehalten werden, daß ihr Wollen sich einfüge in die Form des höheren Sittengesetzes. Der Zögling muß lernen, daß sich das Leben nicht zusammensetzt wie ein Rechenexempel, das Glück nicht wie die Summe gegebener Posten. Der Zögling muß lernen, daß das Glück unabhängig von äußerem Besitz und rein geistigem Können und Kennen sich einstellt und unabhängig von des Lebens Not aufblüht wie eine Wunderrose. Das Glück läßt sich nicht bannen durch Berechnung und logische Erörterungen.

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