Im Gesang vergißt das Kind, das Krieg ist

Hugo Löbmann (in: Deutsche Schulpraxis - Wochenblatt für deutsche Lehrkunst, für Geschichte und Schrifttum der Erziehung und des Unterrichts)

Das Glück beruht in dem Innewerden der seelischen Übereinstimmung mit den höheren Ideen,für deren Forderung und Pflege der einzelne sich einem höheren Wesen verantwortlich fühlt. Das Wesen dieses Glücks liegt in einem gewissen Vergessen der harten, starren Verhältnisse des wirklichen Lebens. Das Glück sucht den Menschen auf wie ein schöner Traum. Und zu diesem geistigen Ausruhen, zu diesem seelischen Leben jenseits der Grenze der rauhen Wirklichkeit führt den Zögling die Kunst.

Es gab eine Zeit, da hallte der pädagogische Blätterwald wider von dem Geschrei nach „Kunst im Leben des Kindes“. Bei all solchen aufgeregten Zeitumständen, wo irgendeine pädagogische „Richtung“ Mode wird, überkommt uns immer der Gedanke: wie lange wird´s dauern, und eine neue pädagogische Modewelle wird Deutschland überschwemmen. Demgegenüber bleibt es Pflicht des Erziehers, an den alten, bewährten Ansichten und Erfahrungen festzuhalten. Und deren eine besagt, daß der Singunterricht in der Volksschule seinen Wert unter allen Umständen und tur alle Zeiten hat und behält. Es bleibt zu beachten, daß Kunstwerke nur von dem recht gewertet werden können, dem hierzu die Gabe, Kunst zu einpfinden, von der Natur verliehen ward. Deshalb wird es immer Stimmen geben, die geneigt sind, die höhere Einschätzung des Singens als eines Hauptmittels seelischer Bildung als eine Übertreibung hinzustellen. Möchte diese Kunstaußenseiter der Gedanke vor allzu eifrigem Entgegenstemmen zurück halten, daß sie in ihrer Schulzeit vielleicht die Opfer eines ganz oder teilweise verfehlten Erziehungssystems bezüglich der Gesangbildung geworden sind.

Mögen sich aber auch andererseits diejenigen Erzieher, die dafür sorgten, daß das Singen keiner einzigen ihrer mehr als dreißig Schulklassen vorenthalten blieb, belohnt sehen in dem Gedanken, daß sie den Kinder ihrer Schule durch Sicherstellung des Gesanges ein Glück wahrten, das in seiner Wirkung an den Eindruck erinnert, den Religionsstunden erzeugen, wenn diese quellen aus einem Herzen voll Einfalt, Tiefe und Glauben. Es hieße auf dem kleinen Altare der kindlichen Freuden unserer Jugend die Osteerkerze auslöschen, wollte man anordnen, daß Hunderten von Kindern der eigenen Schule das heilige Anrecht auf diesen seelisch bedeutungsvollen Unterricht, wie es das Singen nun einmal darstellt, vorenthalten bleibe. Gerade die harte Gegenwart verlangt nach seelischer Auslösung. Und gerade der Gesang bewirkt sie in seelischer Weise. Man muß nur selbst einmal Hand angelegt haben an dieses edle Waidwerk der Seelen. Hier im Gesange blüht das Gedenken daran, wie „einst“ es war.

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