Des deutschen Volkes Liederschatz

Ein Rundfunkvortrag

Peter Panter (Kurt Tucholsky), (in: Die Weltbühne, 22.03.1927, Nr. 12, S. 465)

In der Hafenbar von Rio bei Laternenlicht
hatte Jim zum ersten Mal gesehen ihr Gesicht,

und malen uns diese Verse so recht die bewegte und jeder Polizeistunde spottende Atmosphäre Südamerikas vor Augen. An unsern Alt-Reichskanzler Luther, an dessen Wesen um ein Haar die Welt genesen wäre und der auch auf hoher Warte niemals seine schlichte Herkunft als Kommunalbeamter vergessen läßt, gemahnen uns die Verse:

Hoch zu Roß mit seinem stolzen Troß
der große Picador,

wobei denn noch festzustellen wäre, wer bei diesem getätigten Geschäft der Ochse gewesen ist.

Wir kommen nunmehr zu den mild-romantischen Liedern. Da wird uns warm ums deutsche Herz. Deutsche Weise und deutsches Land sprechen uns hier an, und jedes Gemüt schlägt Wellen, wenn es hört:

Am Rüdesheimer Schloß steht eine Linde!
Der Frühlingswind zieht durch der Blätter Grün
Ein Herz ist eingeschnitzt in ihre Rinde
Und in dem Herzen steht ein Name drün

Da ist nichts vom nervenpeitschenden Rhythmus der Großstadt, ewiger Gehalt klingt uns hier an und zeigt so recht, dass das Erbe der Birch-Pfeiffer und Courths-Clauren in guten Händen liegt. Der Text des Rüdesheim-Liedes stammt von einem Wiener Juden.

Was aber sind alle diese schönen Lieder, wie:

Am Hügel, wo der Flieder blüht
und eine Rosenhecke glüht

und:

Wißt, dort im Bergrevier
da ist die Heimat mein
Thüringer Waldeszier
treu denk ich dein!

sowie:

Am Rhein, da hab ich das Licht erblickt
am Rhein, da wuchs ich heran
am Rhein, da ist mir manch Streich geglückt –

woraus also zu ersehen, dass dieser Streich hier jedenfalls nicht am Rhein entstanden ist – was ist dies alles, sage ich, gegen das unsterbliche Lied:

Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren
in einer lauen Sommernacht –?

Da mögen Welsche und Polen, Tschechen und blatternasige Kosaken dräun: solange wir solche Lieder haben, kann Deutschland nicht untergehn. Der Text stammt von zwei Wiener Juden.

Die dritte Abteilung endlich möge die der schlichtweg idiotischen Texte genannt werden, wie etwa:

Wer hat die liebe Großmama
verkehrt rum aufs Klosett gesetzt?

und:

Das war bei Tante Trullala
in Düsseldorf am Rhein
da haben wir die Nacht verbracht
voll Seligkeit beim Wein –

Noch zahllose Lieder gibt es, schlichte Äußerungen des Volksgemütes, geeignet, am deutschen Herd, im deutschen Haus, im deutschen Hof gesungen zu werden, wofern nicht dort Teppichklopfen und Musizieren verboten ist. Wo man singt, da komme ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.

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