Ein Besuch in Barackia

Berliner Lebensbild

Max Ring (in: Die Gartenlaube, Heft 28, 1872)

Hier, wo die städtische Kultur gewissermaßen aufhörte, standen zu beiden Seiten des Weges eine Anzahl von rohen Holzhütten, meist aus ungehobelten Brettern zusammengeschlagen, ähnlich den Buden der Kaufleute auf Jahrmärkten, hier und da auch nur ein hölzernes Gerüst, zum Schutz gegen die Witterung mit grauer Leinewand überzogen, oft auch nur mit Pappbogen oder geflochtenen Strohdecken notdürftig bekleidet.

„Wir sind in der Republik Barackia,“ sagte mein ironischer Freund auf die ärmlichen Hütten deutend.

Unter seiner Leitung betrat ich die uns zunächst liegende Kolonie, die aus ungefähr zwölf solchen Baracken bestehen mochte. Am Eingange empfing uns der Präsident dieser neuen Niederlassung, der zwar nicht wie sein College Johnson von Profession ein Schneider, sondern ein Tischler war. Mit anerkennungswerter Würde und freundlicher Herablassung machte Herr Schmidt die Honneurs seines Hauses. War auch dasselbe nicht ganz so elegant wie das „Weiße Haus“ des Präsidenten der amerikanischen Union, so machte es doch einen weit bessern Eindruck, als wir erwarteten. Die einzige Stube, welche zugleich als Empfangssalon, Wohn-, Speise- und Schlafzimmer diente, war sogar mit einem gewissen Komfort ausgestattet und besaß Tische, Stühle und Betten. Die Küche, ein kleiner Feldofen, befand sich im Freien und der Keller, ein gewöhnlicher Flaschenkorb, lag dicht an der Tür und schien uns gut gefüllt.

Herr Schmidt hatte die Freundlichkeit, uns der Frau Präsidentin vorzustellen, die erst vor Kurzem die Republik mit einem neuen Sprössling beschenkt. Der junge Staatsbürger erfreute sich der besten Gesundheit, trotzdem er in einer Baracke das Licht der Welt erblickt hatte. Zur Erinnerung an diese interessante Tatsache wurde ihm in der Taufe der Name Freifeld Schmidt beigelegt, weil er auf freiem Felde geboren war. Wie wir hörten, hatte der glückliche Vater ursprünglich die Absicht, den deutschen Kaiser Wilhelm als Taufzeugen einzuladen. Obgleich aus uns unbekannten, wahrscheinlich politischen Gründen diese Courtoisie unterblieb, soll es doch bei dem Feste sehr heiter zugegangen sein, vielleicht noch heiterer als bei der jüngsten Taufe im Palais des Kronprinzen. Man trank auf das Wohl des Neugeborenen und ließ es weder an den üblichen Reden noch an gereimten und ungereimten Toasten fehlen. Die Speisen und Getränke lieferte der in der Nähe wohnende Restaurateur, in dessen Schaufenster wir verschiedene Biere, selbst Selterwasser angekündigt fanden, während die ausgestellten Flaschen auch noch höhere geistige Genüsse in Aussicht stellten. Einige Gäste schienen sich beim Glase mit deutscher Tiefe und Gründlichkeit im Freien mit Lösung der sozialen Frage zu beschäftigen.

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