Ein Besuch in Barackia

Berliner Lebensbild

Max Ring (in: Die Gartenlaube, Heft 28, 1872)

Unter der Führung des Herrn Präsidenten statteten wir seinem Nachbar, einem respektabeln Lumpenhändler, einen Besuch ab. Wir traten zunächst in eine offene Halle, welche zugleich als Veranda und Warenniederlage diente. Frauen und Kinder saßen auf weichen Säcken und sortierten fleißig den ansehnlichen Lumpenvorrat. Wie sie auf unsere Fragen erzählten, hatte die zahlreiche Familie trotz aller Mühe keine Wohnung auftreiben können, obgleich sie eine verhältnismäßig nicht unbedeutende Miete zahlen konnte und wollte. Zugleich zeigte man uns unaufgefordert das Quittungsbuch, woraus wir ersahen, dass die Leute bisher ganz regelmäßig und pünktlich ihren Verpflichtungen nachgekommen waren. Sowohl ihre Kleidung wie der ganze Hausstand sprach dafür, dass das Geschäft sie, wenn auch nicht glänzend, so doch hinreichend ernährte.

Als Grenzmauer zwischen ihrer und der folgenden Besitzung diente eine schwache Drahtschnur, und doch versicherte Herr Schmidt, dass dieses symbolische Grenzzeichen mit bewunderungswürdiger Gewissenhaftigkeit respektiert werde. Dicht daneben wohnte ein alter Schuhmacher, den wir ebenfalls bei der Arbeit trafen, wogegen sein Nachbar, ein junger Töpfergeselle, sich dem allgemeinen Besten widmete, indem er einen Brunnen in die Erde grub, um das nötige Wasser für die Kolonie zu schaffen. Wie wir uns überzeugten, waren seine Bemühungen bereits von dem besten Erfolge gekrönt. Nur einige Schritte weiter begegneten wir einer eben erst eingewanderten Familie, welche noch nicht dazu gekommen war, eine Hütte zu errichten. Einstweilen begnügte sie sich mit einem Schilflager, das, mit Strohmatten verhüllt und bedeckt, einem großen Warenballen glich, in dem die Menschen gut verpackt wohnten und schliefen.

Gegen diese primitive Emballagewohnung erschien allerdings die nächste Besitzung wie ein glänzender Palast. An der Thür begrüßte uns der Eigentümer und lud uns freundlich ein, sein „Sanssouci“ in Augenschein zu nehmen. Die Baracke mochte ungefähr vierzig bis fünfzig Schritte lang und zwanzig breit sein; sie war durch eine Scheidewand in mehrere Räume geteilt und sogar mit einer blau- und gelbgestreiften Tapete bekleidet; auch besaß sie vollständige Fenster mit Glasscheiben. Die ganze Einrichtung verriet eine gewisse Wohlhabenheit; wir bemerkten ein Sopha von polirtem Birkenholz, mit grünem Damast überzogen, einen guten Kleiderschrank, Tische, Stühle, eine größere und eine kleinere Bettstelle, worin ein Kind mit roten Wangen und blauen Augen lag und uns anlächelte. Der Mann selbst sah zwar bleich, aber keineswegs verkommen aus. Mit sichtlicher Freude rühmte er uns seine Wohnung und seine Augen glänzten förmlich, als er von seiner jetzigen Lage sprach und sie mit den früheren traurigen Verhältnissen verglich.

Volksmusik:
Liederzeit:
Schlagwort:

Siehe dazu auch:

Volksmusik nach Themen

Jazz in Deutschland - Kriegserziehung im Kaiserreich - Kriegslieder - Lied und Erster Weltkrieg - Linktipps - Neuigkeiten - Volkslied-Forschung - Verschiedenes - Volksliedbücher - Volkslieder - Volksmusik Praxis -