Einleitung: Demokratische Volkslieder
Wolfgang Steinitz (in: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Band I S. XIX - XLIV) - (Der große Steinitz))
(Wolfgang Steinitz: Der Kampf des werktätigen Volkes gegen Krieg und Unterdrückung in der Volksdichtung. (in: Wissenschaftler kämpfen für den Frieden. Berlin 1951, S. 191-203): „Deutsche Volkslieder, die sich mit dieser Liedenschaft und Klarheit [wie die estnischen] gegen Unterdrückung und gegen Kriegsdienst und Krieg aussprechen, sind mir nicht bekannt.“)
Diesen Eindruck mußte man auf Grund einer solchen Sammlung wie Erk-Böhmes dreibändigem Deutschen Liederhort oder der Darstellungen des deutschen Volksliedes durch O. Böckel, O. Schell u. a. erhalten. Sobald ich aber an einer Stelle etwas tiefer ging. bemerkte ich, daß Erk-Böhme und die genannten Darstellungen in dieser Beziehung ein falsches Bild vom deutschen Volkslied gaben.
Ich war „zufällig“ auf Chr. Fr. D. Schubarts 1781 verfaßtes Gedicht „Mit jammervollem Blicke“ gestoßen und hatte während der Lektüre die feste Überzeugung gewonnen, dieses gegen den Söldnerdienst gerichtete, in so einfacher volkstümlicher Sprache gehaltene Lied müsse in jener Zeit, als Zwangsrekrutierung und Verkauf von Soldaten durch deutsche Fürsten immer schärfere Formen annahmen, einen tiefen Eindruck auf die Soldaten und das werktätige Land- und Stadtvolk gemacht haben, von ihnen aufgenommen und zum Volkslied geworden sein. Erk-Böhme enthält nun zwar unter Nr. 1406-07 zwei darauf zurückgehende Lieder mit der gleichen Anfangszeile. Der Schluß des Schubartschen Gedichte:
Ihr Söhne, bei der Krücke
…….
Beschwör ich Euch, ihr Söhne!
O flieht der Trommel Ton
Und Kriegstrommetentöne!
Sonst kriegt ihr meinen Lohn.
mit seinem Appell gegen den Söldnerdienst fehlt jedoch in dem ersten Lied und ist in dem zweiten sogar in sein Gegenteil, in eine Aufforderung zum Kampf umgebogen, die Böhme zu dem Zusatz verlockt hat: „Dieser jüngere Invalidengesang schließt nicht mehr mit Klagelauten, sondern der patriotischen Mahnung: Allezeit zum Kampf bereit.“
Sollte das deutsche Volk, dieses von einem Dichter des Sturm und Drang im vierten Jahr seiner zehnjährigen Kerkerhaft mit Herzblut geschriebene Gedicht gegen den Söldnerdienst und die Kriege der Fürsten wirklich nur mit solchem entstellten Inhalt gesungen haben?
Ich konnte dies nicht glauben und entschloß mich zu einer eingehenderen Untersuchung des Liedes. Auf Grund der Materialien des Deutschen Volksliedarchivs und anderer Quellen zeigte es sich, daß das Lied bisher in fast 60 Fassungen vorliegt, von denen nur 4 den hurrapatriotischen Schluß, 23 aber einen .gegen den Söldnerdienst gerichteten Schluß, wie
Volksmusik: Steinitz Volkslieder, Volksliedbücher
Liederzeit: 1945-1989 Deutschland Ost
Siehe dazu auch:
- Steinitz II: Demokratische Volkslieder ()
- Steinitz III: Volkslieder und Zensur ()
- Steinitz IV: Was ist ein Volkslied? ()
- Steinitz V: Die Volksliedforschung ()
- Steinitz VI: Das Volkslied im Kaiserreich ()
- Steinitz VII: Das andere Volkslied ()
- Steinitz VIII: Zur Anlage des Werkes ()
- Steinitz XI: Work in Progress ()