Friedrich Silcher (100 Jahre)
Wiedererwecker des deutschen Volksliedes.
Von Benedikt Widmann (in: Die Gartenlaube, 1889, Heft 29, S. 496–499)
Diese Volkslieder sind so weit verbreitet, als deutscher Gesang reicht: sie erklingen an den Ufern des Susquehanna und Ohio so gut wie im deutschen Vaterland, und als der Kölner Männergesangverein in London (1853 und 1854) dem deutschen Liede die herrlichsten Triumphe bereitete, da standen obenan die Volkslieder, da erregte das schwäbische: ‚Jetzt gang i ans Brünnele‘ etc. etc. den tiefsten Eindruck. Woher solche Erfolge? Ist es bloß, daß Silcher mit seinen Heften den ersten glücklichen Griff gethan? Nein, seiner Verdienste sind mehr, es bedurfte hier nicht allein eines gelehrten fleißigen Sammlers, es bedurfte einer so eigenthümlich sinnigen poetischen Begabung, wie sie in Silcher aufgetreten, um uns unverfälscht die köstlichen Früchte wiedergeben zu können.
Silchers Verdienst ist in mehrfacher Richtung anzuerkennen. Als Sammler hat er die echte Quelle gefunden, nicht vergilbte Handschriften, sondern die lebendig fließende der Volkskreise; er hat die Melodien jenen naiven Klassen des Volks abgelauscht. Wir wüßten von mehr als einem der köstlichsten schwäbischen Volkslieder zu berichten, welche, von den schmucken Dirnen der der Universitätsstadt Tübingen nahen Dörfer, z. B. Niedernau, Bezingen, gesungen, die Aufmerksamkeit des Meisters erregten und aus dem Munde der Mädchen in seine Sammlung übergingen. Die Melodien sind äußerst treu gegeben; der vierstimmige Satz ist klar, einfach, ungekünstelt, ohne gesuchte Harmonien . . .“
Als dieses Werk in seiner 1. Auflage erschien, 1854, lebte Silcher noch. Geboren am 27. Juni 1789 zu Schnaith bei Schorndorf in Württemberg, wo sein Vater Schullehrer war, stand er damals in seinem 66. Lebensjahre und konnte sich der vielen Beweise der Anerkennung seiner großen Verdienste, die ihm sowohl in der Heimath als im Auslande in würdigster Weise zu theil geworden sind, noch erfreuen. Im Jahre 1817 als Musikdirektor an die Universität Tübingen berufen, wirkte er dort 42 Jahre lang für die Musik in Kirchen und Schulen und für den Gesang in freien Vereinen, die er zu hoher Blüthe führte. Am 26. August 1860 schloß der Wiedererwecker des deutschen Volksliedes, der Sänger unserer lieblichsten Weisen, seine Augen; aber die Schätze, die er hinterlassen, haben seinen Namen unsterblich gemacht. Ja, fortleben wird
Der uns diese Liedlein neu gesang, so wol gesungen hat.“
Volksmusik: Biographien
Liederzeit: 1871-1918: Deutsches Kaiserreich
- Silcher, Friedrich (Author)
Siehe dazu auch:
- Johannes Cotta (Portrait) ()
- Julius Otto: Das treue deutsche Herz (Allgemein)
- Wer war Ännchen von Tharau? ()