Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala“ (=Peterlein)

Dr. Stefan von Máday, Prag (in: Zentralblatt für Psychoanalyse 1914 Band IV Heft 11/12)

Es ist dies nicht etwa Sublimierung, nein, ganz gemeine Verstellung, die aber so weit unbewusst bleiben kann, dass das Subjekt seine Feigheit — auch sich seihst gegenüber — nicht ohne weiteres zugeben würde. Mit seiner etwas gebückten Haltung, den stechenden Augen, den vorgestreckten Lippen, den durch den nur wenig geöffneten Mund hastig und schneidend hervorgestossenen Worten: ,.Ich schiess dich tot!“, wobei das ,,tot“ in höherer Tonlage und stark betont herausklang, wusste der Künstler den Schwächling, der sich nun dank der Situation — er hat ein Gewehr, sein Gegner offenbar keines — überlegen fühlt und der diese Überlegenheit sogar in grausamer Weise auszunützen bereit ist, meisterhaft darzustellen.

In der 5. Strophe tröstet der tote Burlala seine Eltern. Sie stehen an seinem Grabe und weinen; dies ist eine Situation, in der er, der Tote, im Mittelpunkt des Interesses und der Verehrung steht. Menschen, denen es niemals gegönnt war, soziale Erfolge zu erringen — auch Kinder, die sich zu wenig beachtet fühlen — wünschen deshalb manchmal, ihr eigenes Begräbnis zu sehen. Die ungewohnte Ehrenbezeugung am Grabe bringt Burlala in Verlegenheit, d. h. er fürchtet, durch das Zuviel würde der Ernst der Gefühlsäusserung leiden, und alle Beteiligten — sowohl
die Trauernden als der Betrauerte — würden zum Schluss die allzulange Trauer für unverdient und übertrieben empfinden und die Leider-Stimmung würde in eine Gottseidank-Stimmung übergehen.

So spielt ja auch die vom Militärbegräbnis zurückkehrende Musikkapelle lustige Märsche, um das seelische Gleichgewicht der Soldaten wieder herzustellen. Soll eine traurige Stimmung nachwirken, so darf sie nicht durch allzulange Dauer erschöpft werden. Mit diesen Überlegungen will ich dem Dichter des Burlala, der selbst ein Bauer gewesen sein dürfte, freilich keine psychologischen Spekulationen zugemutet haben; er vermochte sich aber jedenfalls als Menschenkenner in den Charakter und die Lage Burlala’s einzufühlen, als dieser sich tief betrauert sieht und sich ihm der Gedanke aufdrängt: „Nun ist’s aber genug, bald wird’s schon zu viel“, und er von seiner verklärten Höhe als Toter herablassend seinen Eltern winkt: „Weint doch nicht! Weint doch nicht!“

In der 6. Strophe bettelt er bei Petrus um die Aufnahme in den Himmel. In den halb bittend, halb fordernd gesprochenen Worten „Mach mir auf! Mach mir auf“ taucht das Gefühl der Ohnmacht, das in den beiden ersten Strophen ausgedrückt war, wieder auf; anderseits eine gewisse Arroganz, die mit der Erfahrung, dass oft dem Frechen früher geöffnet wird, als dem Bescheidenen, im Einklang steht.

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