Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala“ (=Peterlein)

Dr. Stefan von Máday, Prag (in: Zentralblatt für Psychoanalyse 1914 Band IV Heft 11/12)

In der letzten Strophe endlich sehen wir Burlala am Ziel seiner Wünsche. Er ist im Himmel, höher geht’s nimmer, und die Sicherheit ist eine vollkommene. Der Herrgott fragt ihn, wie es ihm da gefalle, und nun erfolgt nicht etwa eine Antwort yoll Dankbarkeit und Ergebung. Nein; der Herrgott lässt sich zu ihm herab : das ist eine Gelegenheit, sich sogar dem Herrgott gegenüber überlegen zu zeigen. „Ach, es geht! Ach, es geht!“ sagt er mit einem Bauernstolz, der sich in jeder für ihn günstigen Situation zurechtfindet.

Wir haben somit in Burlala einen Typus kennen gelernt, der eine Abart des Adler’schen „nervösen Charakters“ darstellt. Die Leitlinie seines Lebens ist: Anderen überlegen zu sein. Solange er — als Kind — seine körperliche und geistige Schwäche weder zu kompensieren noch zu verdecken vermag, beherrscht er seine Umgebung in der Weise, dass er seine Schwächen betont und die anderen in seinen Dienst stellt. Sobald er aber etwas geworden ist, sobald er eine Waffe in der Hand oder ein imponierendes Kleidungsstück an hat, beginnt er seine Umgebung zu knechten. Darin, dass er selbst seinem Herrgott gegenüber zugeknöpft ist, zeigt uns der Dichter die Unersättlichkeit des neurotischen Geltungsstrebens.

Noch etwas ist für die Äusserungen Burlala’s charakteristisch: die Unaufrichtigkeit, die Verstellung. Jeder Satz hat einen — psychologischen — Doppelsinn; immer ist ein Unterton da, der dem  Ton widerspricht. So bedeutet z. B. „Weint doch nicht!“ nicht etwa den aufrichtigen Wunsch, seine Eltern mögen sich überhaupt nicht um ihn grämen, sondern es ist eine dankende Bestätigung der seiner Person gezollten Achtung; wie wenn die Frau eines Emporkömmlings den Handkuss einer Dienstperson mit den Worten: „Aber lassen sie das!“ abwehrt, die Hand jedoch zum Küssen hinhält.

Auch das: „Ach, es geht!“ der letzten Strophe ist unaufrichtig; in Wirklichkeit fühlt er sich ausgezeichnet, doch gibt er’s nicht zu, weil er damit die Überlegenheit des Hausherrn eingestehen würde. Er benimmt sich wie ein kluger Hotelgast dem Wirt gegenüber, der sich nach seinem Befinden in seinem Hause erkundigt. Dieser Unaufrichtigkeit entspricht auch die Wiederholung: im Liede wird jeder Satz Burlala’s dreimal gesungen. Ich denke, dass diese Wiederholung vom Dichter nicht bloss aus poetisch- oder musikalisch-technischen Gründen angegeben wurde. Durch die Wiederholung sucht vielmehr Burlala die innere Unsicherheit zu besiegen und die Unwahrheit der Äusserungen vor den anderen zu verdecken. Lügen werden — wie man weiß — oft auffallend laut gesprochen oder öfter wiederholt, damit sie endlich sicher geglaubt werden.

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