Sonst finden nur noch einzelne Übertragungen und Entlehnungen von älteren Kultbäumen auf diese jüngeren Obstbäume statt z. B. auf den Apfel- und auf den Birnbaum; wie schon von dem Wachholder einige Bräuche auf den importierten südlichen Sevebaum übergegangen waren. — In der Volksmedizin, namentlich in der erotischen und sexualen, spielen die Obstbäume aus denselben Gründen fast gar keine Rolle. —

Dagegen werden im Laufe der Jahrhunderte die Früchte der Obstbäume, die ja ganz anders als die uralt einheimischen wie Schlehe, Hasel, Eichel, Buchecker in die Augen fielen und mundeten, die da groß und prächtig an Duft, Farbe, Süße waren, an Gestalt bald rund (Apfel), bald durch eine Riefe geteilt (Pfirsich, Aprikose), bald oval einzeln oder paarweise (Pflaumen, Kirschen) vorkommen, den bedeutendsten Anlaß zu. einer anderen Erotik geben, nämlich zu Vergleichen und witzigen Gleichstellungen mit den menschlichen Geschlechtszeichen. Brust und Glied der Frauen, Hoden, Hodensack und Glied der Männer, Schenkel, Hüften und Hinterteil werden mit einzelnen ähnlich gestalteten Früchten verglichen. —

Diese Vergleiche sind keineswegs modern, sie sind bis ins Mittelalter zurück nachweisbar, teilweise auch im grauen Altertum schon bekannt und ihm entlehnt, neu treten sie nur in unser Volk ein und führen bis heutigen Tages ihr derbes, keckes und unverwüstliches Leben. —

Zuletzt möchte ich einen Aberglauben erwähnen, der einen erotischen Anklang hat. Es heißt allgemein im Volke, daß man alles Obst von Knaben pflücken lassen soll, nicht von Mädchen, weil sich das Obst durch diese leicht „spaltet“. Der Grund könnte der sein, daß nach einem weitverbreiteten Volksglauben die Mädchen durch ihre menses die Früchte verderben lassen. Es ist aber nicht vom „Verderben“ oder „Verfaulen“, sondern vom „Spalten“ die Rede; das scheint auf den „Spalt“ der Mädchen (Vulva) hinzuweisen, also daß hier wieder eine Übertragung der weiblichen Natur stattfindet.

Man vergleiche einen Ausdruck wie „Schlitzhusar“ für Mädchen; statt Schlitzhusar sagt man auch „Gespaltener Husar“ im Elsaß (Steinburg, Müttersholz). Übrigens gelten die Frauen und Mädchen durch die menses nicht bloß als unrein, sondern geradezu als schädlich und giftig; werden z. B. die Obstbäume von menstruierten Frauen gepflegt, so werden sie unfruchtbar, tragen nicht mehr oder gehen gar ein.“

in Volkserotik und Pflanzenwelt (1908)

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