Rätsel und Sprachspiele

Georg Eskuche (in: Kasseler Kinderliedchen, Nr. 110 folgende)

Da stürzt sich das Löwenweib wutschnaubend vom Felsen in den Abgrund hinunter. —

In der germanischen Sage nun eignet dem Rätsel noch viel häufiger diese fast unheimliche Macht. Da gelobt z. B. König Heidhrekr, um sich von einer schweren Mördschuld zu sühnen, er werde jeden Frevel gegen seine Person Jedem verzeihen, der ihm unlösbare Rätsel und Fragen vorlegen könne. Drum flehte Gesti, wegen vielfacher Vergehen gegen den König vor Gericht gefordert, unter Opfern den Odhin um Hilfe an, und der gütige Gott ging in Gesti’s Gestalt an den Hof und gab dem König 30 Rätsel auf. Heidhrekr aber löste sie alle. Das vorletzte dieser Räthsel lautete:

Wer sind die zwei, die zum Thing (= Versammlung) fahren? Drei Augen haben sie zusammen, zehn Füße und einen Schweif, so reisen sie über Land. Die Antwort war: der einäugige Odhin mit seinem achtfüßigen Rosse  Sleipnir. Bei diesen Geistesschlachten strahlten gewiß die Augen der alten Germanen ebenso mutig und siegesfreudig wie im Kamps mit Schwert und Speer. Das fühlen wir bei der hohen Bedeutung, die das Rätselspiel in der alten Götter- und Heldensage hat. Galt es doch, nicht nur die gleiche Stärke und Schnelle des Leibes, sondern die Ebenbürtigkeit des Geistes freudig zu bewähren.

Auch in der späteren Sage und dem Schrifttum des Mittelalters nimmt das Rätsel immer noch eine wichtige Stelle ein. Der weltbekannte Sängerkrieg auf der Wartburg, den einst die berühmtesten Dichter des deutschen Volkes abhielten, bestand doch im Wettsingen von Liedern und Rätseln: es ging da um den Kopf, denn „ohne Friede“  wurde gesungen. —

Cyriacus Spangenberg (vgl. Hessenland 1890, S. 53) gedenkt im Ehespiegel, Straßburg 1578, S. 250, b., der schönen, damals nicht mehr üblichen Sitte, auf den Zunftlauben oder unter den Lindenbäumen des Brühls sich mit Sprüchen und Rätseln wechselseitig zu überbieten: „wann die alten zusammen kamen, gab eyner dem
andern fragen auf; wer die meisten auflösete, verdienete eynen crantz. und in summa, wer noch heutiges tages im fechten, schießen, rennen, laufen, singen, ringen und springen das beste tuet, hat neben dem andern gewinnet eynen crantz zu lohn, und wa die leute frölich seynd in wolleben, auf die hohen feste oder sonst, da pranget man
mit cräntzen.“ Beim Kranzsingen hat in der Regel der Jüngling, der ein Mädchen zu Tanze bittet, ihr zuvor einige Rätselfragen zu beantworten. Zeigte er dann durch Lösen der Rätsel seine geistige Gewandtheit, so setzte ihm die Jungfrau das Rosenkränzlein auf, und er legte ihr nun seine Rätsel vor, zuweilen mit einem Eingang der Art: Ei, Jungfrau, ich will ihr was auf zu raten geben, Und wenn sie’s errät, so heirate ich sie! Die Rätsellieder sind daher
nicht selten Brautwerbelieder, ja Hochzeitlieder, wie in Erk’s deutschem Liederhort das Lied 153, wo der Reiter das Mädchen, das ihm alle seine Rätsel beantwortet hat, sogleich zu sich auf’s Roß hebt: Ewige Liebe sei dein Lohn! Und hop — hop ging’s mit ihr davon.

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