Steinitz VIII: Zur Anlage des Werkes

Wolfgang Steinitz (in: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Band I, 1954, Seite XXII f)

„Das Lied ist ein Besitz des Volkes, und je reicher und tiefer die Idee des Volke im politischen Leben zur Geltung kommen wird, um so herrlicher wird sich auch das deutsche Lied entfalten“, schrieb Wilhelm Heinrich Riehl in seinem hochinteressanten und zu Unrecht vergessenen Aufsatz „Das Volkslied in seinem Einfluß auf die gesamte Entwicklung der neueren Musik“, der 1849 in der „Gegenwart Eine enzyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände“ erschien) und zeigt, daß sich Riehl damals unter dem Einfluß der demokratischen Bewegung von 1848 befand. 1) „Die Gegenwart“, Bd. 3, Leipzig 1849, S. 668.

Dieser Aufsatz ist meines Wissens seitdem nur noch einmal abgedruckt worden, jedoch in stark verkürzter und direkt verstümmelter Gestalt bei J. Müller-Blattau: W. H. Riehl, Musik im Leben des Volkes, Kassel 1936. Dabei sind solche freimütigen demokratischen Äußerungen wie die folgende natürlich weggelassen worden:

„. . ._ Die parfumierte Corruption in den höhern Schichten der Gesellschaft, welche in ähnlicher Weise auf der Bühne dem hohlen französischen Conversationstück und der italienisch-französischen Oper den Vorrang sicherte, verschaffte auch der Salonsmusik ein üppiges Gedeihen. Wir kommen aber hier auf dem Punkte an, wo die Kunst nicht mehr als volksbildend, sondern als das Volk entnervend und verdummend erscheint. Darum hat die Metternich’sche Politik recht gut gewußt, weshalb sie der frivol-sinnlichen Salonsmusik in gleicher Weise wie den oben bezeichneten Gattungen der Bühnenliteratur einen so begünstigten Zufluchtsort in Wien einräumte. Wie man zu Luther`s Zeiten sagte, daß sich die Bauern durch die volkstümlichen Choräle in das Luthertum hineinsängen, so kann man jetzt behaupten, daß sich die Östreicher recht eigentlich hineinmusicirt und hineingedudelt haben in das Metternich’sche System.“ (Die Gegenwart, Bd. 3, S. 677. – Sperrung von mir – W. St.)

Unwillkürlich drängt sich der Vergleich der Metternich’schen Politik mit frivol-sinnlicher Salonmusik und der amerikanischen mit brutal-exzentrischer Boogie-Woogie- oder exzentrisch-nivellierender Jazzmusik auf.

Der Sozialismus, der das werktätige Volk als die entscheidende Kraft in der Geschichte betrachtet und die durch den Kapitalismus verschütteten und verschandelten schöpferischen Fähigkeiten des Volkes zur Entfaltung bringt, wird auch zu dem von Riehl er-
hofften Wiederaufblühen des deutschen Liedes führen. Daß sich die deutsche Arbeiterklasse und die werktätigen Bauern die deutsche Volksdichtung und das ganze große kulturelle Erbe unseres Volkes zu eigen machen, ist ein historisches Ereignis. dessen Bedeutung von vielen noch nicht genügend verstanden wird. ‚

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