Reiche Anknüpfungspunkte bieten auch nächst der mündlichen Tradition besonders die Quodlibete des 16. und 17. Jahrhunderts 1, dasjenige kennen zu lernen, was damaliger Zeit beim Volke beliebt gewesen; aber das Echte des Volksliedes in diesen Sammlungen ist eben so schwierig zu erkennen als im Einzeln zu bearbeiten.
Also das Volkslied der Tradition herzustellen, durch besondere Ergründung des Melodischen herzustellen, habe ich mir zur Aufgabe gemacht, und auf diese Tätigkeit will ich noch genauer eingehen. Es mußte mein Bestreben sein, die Melodien möglichst treu und unverfälscht zu geben, aber auch gereinigt von jedem Auswuchs. Diesen Auswüchsen auf die Spur zu kommen, mußte ein Apparat von vielen verschiedenen Lesarten aus sehr vielen
und den verschiedensten Gegenden Deutschlands zusammen gebracht werden, wobei persönliche Bemühung und der dankenstwerteste Eifer meiner Freunde in allen Teilen des Vaterlandes mit dem besten Erfolg gewaltet haben.
So erst konnten Lesarten verglichen, mit eindringendem Urteil gesichtet und gesondert werden; so hat die Überlieferung der Melodien bei vielen Liedern in mehrfacher Gestalt gegeben werden können: kein mäßiger Ballast, vielmehr, wie ich hoffe, nicht unergiebig für die Geschichte der Musik, wie für die selbständige Kritik dieser Arbeit, deren Zweck es ist, aus den verschiedenen Formen der Mitteilung die bedeutsamste, wirksamste, prägnanteste Melodie zu wählen und zu geben.
So auch konnte erreicht werden, daß eine Verwechselung der Originalmelodien mit den sogenannten untergelegten Melodien vermieden würde, von welchen leicht jedes Liederbuch Proben in Fülle bietet. Es kann in dieser Beziehung nicht genug gewarnt werden vor dem allzu eilfertigen Drucken ohne vorangehendes tieferes Eindringen in das Eigentümliche der mit jedem Liede verwachsenen Originalmelodie. Zu wünschen bleibt auch, daß die Aufzeichnungen mehr von Solchen gemacht werden, welche der Musik kundig sind 2, wenn gleich bei den Fachmusikern das Volkslied nicht in der Gunst steht, daß sie durch seine Förderung ihre Empfänglichkeit erhöhen möchten. Was ich aus vorhandenen Quellen geschöpft, ist an seiner Stelle gewissenhaft bezeichnet; das Neuhinzugekommene durch den Zusatz „mündlich“ u. dergl. zu erkennen.
- z. B. von Joh. Ott (1534, 1544), Georg Forster (1539—1556), Nic. Zang (1596,
1.620), Melchior Franck (1605—1622) u. s. w. - Wer es selbst noch nicht zur Fähigkeit des richtigen Aufzeichnens gebracht, sollte wenigstens vorsichtiger in seinem Urteil über Andere fein. Man vergleiche, um ein nahe liegendes Beispiel zu geben, Ernst Meiers „Schwäbische Volkslieder. Berlin, 1855.“ , woselbst kaum eine Melodie zu finden, die nicht von Auswüchsen jeglicher Art entstellt wäre — s. die Melodie Nr. 5, II (S. 414), Nr. 15 (S. 419), Nr. 19 (S. 422), in welchen 3teiliger Takt
mit 2teiligem, und umgekehrt, 2teiliger mit 3teiligem Takt verwechselt worden; sodann die ganz absonderliche, d. h. allem gesunden musikalischen Gefühl widersprechende, Art 2stimmig zu harmonisieren in Nr. 16 u. 17 (S. 420), Nr. 23 (425) u. s. w. — mit der offenbar auf musikalischem Unverstand beruhenden absprechenden Kritik in Nr. 221 der Augburger Allgem. Zeitung vom Jahre 1852.
Volksmusik: Volksliedbücher
Siehe dazu auch:
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1828) ()
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1833) ()
- Als der Großvater die Großmutter nahm (Auflage 1922) ()
- Die Bedeutung des Liedes für die Auswanderung (Auswandererlieder)
- Einleitung: Demokratische Volkslieder ()
- Geschichtliche Entwicklung der Heimathymnen ()
- Kinderlieder ()
- Ministerium stoppt Bundeswehr-Liederbuch ()
- Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala“ (=Peterlein) ()
- Neue Soldaten- und Marschlieder (1916) (Allgemein)
- Schlesische Volkslieder (1842): Vorwort ()
- Schlesische Volkslieder: Vorwort von Ernst Richter ()