Die Texte, welche sich bei Herder, Elwert, v. Arnim u. A. finden, dürften somit durch gegenwärtige Sammlung nicht unwesentlich bereichert und ihrem Original näher geführt sein. Aber den Tadel, welchen gerade das Wunderhorn wegen seiner Texte oft über Gebühr erfahren, sollte, wer die Zeit seines Entstehens gegen die Fortschritte der folgenden Jahre hält, nicht aufkommen lassen, zumal da jüngere Leistungen häufig hinter jenem zurückgeblieben. Für eine einigermaßen gesicherte Fassung müssen beide, Texte und Melodien, gemeinschaftlich untersucht werden, und das geschieht singend. Nur so ist es möglich, die Worte korrekt nach der Anzahl der Silben herzustellen und die über- und minderzähligen Silben zu beseitigen, durch welche die Lieder ungelenkig, starr und aus ihrem natürlichen Flusse gebracht werden, — die schwache Seite der meisten Liedersammlungen.
Nicht jedoch möchte ich zu der Meinung Veranlassung geben, als hielte ich durch diese meine Rezension die Lieder abgeschlossen: vielmehr hoffe ich, daß auch Andere an ihrem Teile das tun oder nachholen werden, was mir
zu erledigen nicht gelingen wollen. Zu dieser Weiterführung des Angebahnten möge der Apparat der vielen Lesarten dienen, welche reichlich vermehrt werden könnten, wenn berufene Männer, besonders in abgelegenen, einsamen
Gegenden nachzuforschen nicht ermüden wollten, um die Lieder von alten Leiden zu heilen. Aber schon die jetzt gesammelten Abweichungen der Texte aus den verschiedenen Gegenden werden dem tiefer Blickenden nicht wenig Lehrreiches bieten und ihn nicht mit Gleichgültigkeit an ihnen vorüber gehn lassen. Wo Texte der früheren Jahrhunderte neben den neueren stehen, hat dies gemeinhin zu bedeuten, daß die Melodien für die älteren Texte ausgestorben und nicht mehr zu erlangen gewesen: ältere Lieder, zu welchen sich die Melodien erhalten haben oder mir zugänglich geworden, sind dem folgenden Bande zugewiesen. Überhaupt sind für Texte, wie für Melodien bei
den einzelnen Liedern jedesmal nur die nächsten und bedeutsamsten Ouellen verzeichnet: weitere Mittheilungen, nebst den litterarisch-historischen Angaben über Boden, Heimat u. A., Wiederholung zu vermeiden, soll die Fort-
setzung bringen.
Die älteren Texte sind in neuerer Orthographie gegeben, ähnlich wie sie Hoffmann von Fallersleben in seinen Gesellschaftsliedern u. A. eingeführt: am Wortlaut habe ich durchaus nicht geändert. Wo hin und wieder eine
Kritik geübt und ein besserer Ausdruck (nie ohne Autorität) gewählt, ist dies mit größter Schonung geschehen und die ursprüngliche Lesart in die Anmerkungen verwiesen. Wie unvermeidlich, ja wie dringend eine Besserung sein
könne, lehrt vielleicht schon die Gegeneinanderhaltung des Frankfurter Liederbüchleins von 1582 und von 1584: auch hoffe ich in diesem Punkte nicht mehr gewagt zu haben, als Uhland sich verstattet. Die Worterklärungen sollen nur dienen, das Verständnis einzelner ungeläufiger Worte dem schlichten Leser zu erleichtern, keinesweges eine sprachliche, kritische oder gelehrte Erörterung bezwecken. Sie mögen in dem Sinne genommen werden, wie
Goethe (B. 33, S. 197) vom Wunderhorn es gewünscht. Eine genaue historische Folge der Lieder ist für jetzt zu geben nicht möglich: schon einem einzelnen Volksliede, beispielsweise „Es waren zwei Königskinder“ oder „Es stand eine Lind im tiefen Thal“, hält es schwer bis in das Feinste seiner textlichen und melodischen Bestandteile nachzugehen.
Auch die strengere Anordnung der Lieder nach ihrem Inhalte hat nicht durchweg befolgt werden können. Doch wird man im Ganzen insofern einen geordneten Gang wahrnehmen, daß dem Sinn und Inhalte nach Verwandtes meist zusammengehalten worden. Mehr zu tun war bei einem ersten Ausbau nicht möglich, zumal da manches Lied erst während der Arbeit hat erforscht und gestaltet werden müssen. Dagegen wird das alphabetische Register zu schnellem Orientieren, denke ich, wesentlich beitragen, weil es auch von solchen Liedern die Anfänge verzeichnet, welche nur als Varianten in die Anmerkungen aufgenommen werden konnten. Wie vermöchte ich nach Würdigkeit und mit der Wärme der Empfindung zu sagen, welch manichfacher, wirksamer, nachhaltiger Hülfe und Förderung ich bei diesem Unternehmen und während seiner Ausführung mich zu erfreuen gehabt!
Volksmusik: Volksliedbücher
Siehe dazu auch:
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1828) ()
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1833) ()
- Als der Großvater die Großmutter nahm (Auflage 1922) ()
- Die Bedeutung des Liedes für die Auswanderung (Auswandererlieder)
- Einleitung: Demokratische Volkslieder ()
- Geschichtliche Entwicklung der Heimathymnen ()
- Kinderlieder ()
- Ministerium stoppt Bundeswehr-Liederbuch ()
- Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala“ (=Peterlein) ()
- Neue Soldaten- und Marschlieder (1916) (Allgemein)
- Schlesische Volkslieder (1842): Vorwort ()
- Schlesische Volkslieder: Vorwort von Ernst Richter ()