Der Pfeil des jüngsten Sohnes war in einer Tamarinde stecken geblieben, und die Wahrsager erklärten, der Königssohn müsse die Tamarinde heiraten. Die Hochzeitsgeschenke wurden feierlichst niedergelegt, worauf man einen Brief bei der Tamarinde vorfand, der den Tag bestimmte, wann der Prinz die Braut heimführen sollte. An diesem Tage ritt der Prinz zur Tamarinde, diese setzte sich in Bewegung, folgte dem Königssohn in seinen Palast, wo sie sich in die schönste Jungfrau verwandelte. —

Perger erzählt in seinen deutschen Pflanzensagen, daß einst ein Mädchen einen Hagebuttenstrauch, mit wundervollen Rosen übersät, sah. Als es aber einige brechen wollte, rief eine Stimme aus dem Busch: „Holt! Deif! Deif I Eck hev dich leif!“ (Halt, Dieb! Dieb! Ich hab dich lieb!). Das Mädchen war gefangem, es sah aber nichts als einen rosenroten Schein, es roch den lieblichsten Rosenduft. Ein Rosenprinz bewohnte den wilden Rosenstrauch, dessen Gemahlin das Mädchen wurde. Erst als Feinde kamen, die den Rosenbusch abhieben und den Prinzen töteten, kehrte das Mädchen zu ihrer Mutter zurück. —

Es ist gewissermaßen ein Ausläufer solcher Liebesverbindungen zwischen Menschen und Pflanzen, wenn man im Aargau für eben geborene Knaben den weiblichen Apfelbaum, für Mädchen den männlichen Birnbaum als Lebens- und Schicksalsbaum pflanzt (siehe S. 6o). —

Ein letzter Ausklang jener uralten Vorstellung, daß. die Pflanzen bzw. die Bäume die Ahnen der Menschen wären, findet sich in der Sitte der Lebens- und Schicksalsbäume. Geschlechter, Familien, ja zuletzt der einzelne Mensch selbst hatten ihre Lebens- oder Schicksalsbäume, Diese Sitte ist schon im Orient bezeugt. Die Platane war der heilige Lebensbaum der Achämeniden, des Königsgeschlechts der Perser (Bötticher 122). Bei den Arabern vertritt diese Stelle häufig die Dattelpalme. Bei den Hellenen gab es heilige Schicksals- und Lebensbäume von Ortschaften, Städten und Staaten. Ebenso gab es in Deutschland, Schweden, Norwegen und Dänemark Geburts- und Lebensbäume. So hatte die Insel Bogö im baltischen Meere ihren Schicksalsbaum. Als er später gefällt wurde, hörte die Hafersaat auf. —

Vielfach nahmen die Geschlechter ihren Namen von einem heiligen Baum her. Nach einer berühmten Linde mit drei Stämmen nannten sich die Familien Linne, Lindelius und Tilander. Man pflegte Geburt- oder Lebensbäume in der Geburtsstunde des Kindes zu pflanzen, fällte man oder verletzte man den Baum, so tötete oder schädigte man den Menschen, dem er gehörte. Manche Sagen des Volkes berichten, daß erzürnte Eltern oder Geschwister den Lebensbaum ihrer Angehörigen oder die Lebensblume (besonders die Lilie) ausrissen und vernichteten und damit den Tod besiegelten. Man denke auch an den schwachen Aushall solcher Vorstellungen bei den Griechen, wie Meleager durch Verbrennung des Schicksalsholzes den Tod fand. —

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