In den Bräuchen des Dorfmaibaumes wie des Einzelmaien der Burschen und Mägde finden wir die Spuren solcher Schicksals- und Lebensbäume. Denn wenn auch der Dorfmaibaum den neuerwachten Männlichen Wald- und Vegetationsdämon vorstellt, so ist er doch im Grunde der schützende Dämon, der Schicksalsdämon des Dorfes, der Gemeinde (man vergleiche die Burglinden und ihre Beziehungen zum Schicksal der Burgen, ihrer Bewohner). Und der Einzelmaien ist der Doppelgänger, das Gegenbild der Mägde, ihres Lebens, ihrer Schönheit; vergleiche die Einleitung zu den Waldbäumen.—

Die Pflanze war also dem Menschen durchaus wesensverwandt, sie wird von denselben Gefühlen und Gedanken beherrscht wie der Mensch. Sie liebt, haßt, trauert, freut sich, leidet wie der Mensch. Sie ißt, dürstet, blutet wie er. Pflanzen, Bäume haben eine Seele, sie haben einen Körper wie er. Sie begatten sich, wenn sie sich mit den Zweigen, ihren Armen, schlagen und umschlingen, sie reden miteinander, wenn sie rauschen, sie erhören Gebete und Schwüre, die in ihrer Gegenwart gegeben werden.

Die Pflanzenseele lebt in der Pflanze als in ihrem Leibe, den sie nicht verlassen kann. Aber diese Seele gleicht durchaus der Menschenseele. Sie fühlt, sie spricht wie der Mensch. Fast alle Völker kennen redende Pflanzen, redende Bäume, wie die Griechen zu Dodona oder Delphi oder die Germanen in ihren heiligen Hainen; in Südschweden glaubt das Volk heute noch, daß die Bäume sprechen können. — Die Pflanzen rufen, schreien, wenn sie verletzt oder gar ausgezogen oder abgehauen werden. Die Birke ruft: „Hau mich nicht um, sonst läuft Wasser von mir!“ Die Erle: „Hau mich nicht um, sonst blute ich!“ Auch jene heilige Lärche zu Nauders in Tirol blutete, wenn sie verletzt wurde. Der Aberglaube, daß Pflanzen bluten, wurde dadurch auch genährt, daß die Wundstelle bei gewissen Bäumen (so bei der Erle) erst weiß, später rot erscheint und daß bei kleinen Pflanzen rote, gelbliche, weiße Säfte entströmen.

Drei Stufen

Nun muß man freilich drei der Zeit nach verschiedene Stufen dieser Identität und Gleichsetzung der Pflanzen mit den Menschen unterscheiden. Ursprünglich bricht sich diese Vorstellung Bahn: die Pflanze ist mit dem Menschen durchaus gleichartig, sie hat eine Seele wie er, die Ihrige ist in einen Pflanzenleib, die seinige in einen Menschenleib gebannt. — Später hieß es, daß die Pflanze der Sitz einer zeitweilig in sie entrückten Menschenseele sei. Pflanzen sind verwandelte Menschen, also Metamorphosen der Menschen in Pflanzen. Dieser Glaube:gipfelt darin, daß der Mensch nach dem Tode in den Pflanzen weiterlebt, die entseelte Hüller wird in das lebenspendende Gewächs aufgenommen. Man sieht deutlich, wie dieser Glaube sich entwickeln konnte: aus dem Grabe, aus dem Leibe des Begrabenen sprießen Bäume, Sträucher, Blumen hervor, das ist der Tote in seinem neuen Leben. Dieser Glaube findet sich in scharfer Ausprägung bei den Hellenen, Germanen, wie Japanern. –

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