Zuletzt ist die Anschauung durchgebrochen, daß in jeder Pflanze eine eigenartige Seele, ein Dämon, hause, der den Menschen bald gut, bald böse gesinnt ist. Die „seligen Fräulein“, die „grünen Fräulein“, die „Wild- und Holzleute“, die „Holzmännlein und Holzfräulein“ und wie sie heißen mögen, sind allesamt im Grunde weiter nichts als solche Dämonen von Waldbäumen. Ihre erotischen Verhältnisse zu den Menschen zeigen uns deutlich, daß der Sexualtrieb der Pflanzenwelt durchaus menschlich auch in diesem dritten Stadium erfaßt worden ist. Das gesamte Menschengeschlechtsleben ist auch auf sie übertragen worden. Es gibt also drei verschiedene Etappen der Pflanzenweltbeseelung, aber sie werden alle drei ohne nennenswerten Unterschied für unsere Untersuchungen über Volkserotik bleiben.

Das erotische Verhältnis

Betrachten wir nun das geschlechtliche und erotische Verhältnis, in dem Menschen und Pflanzen nach dem Volksglauben stehen, näher. Beide sind, wie wir sahen, einander wesensverwandt, beiden haben ihren Körper, ihre Seele, dieselben Empfindungen, Gelüste, Begierden — auch in dem Geschlechtsleben. Die Pflanzen befruchten sich untereinander in der Art des Menschen, aber nicht bloß das, sie können auch den Menschen befruchten und ferner, der Mensch kann auch die Pflanzen befruchten, seine Fruchtbarkeit auf die Pflanzen übertragen.

Zunächst der erste Fall: die Pflanzen befruchten sich untereinander in der Art des Menschen.
Diese Vorstellung mußte dem Naturmenschen die erste gewesen sein. Die Pflanzen mußten sich nach Menschenweise berühren, umarmen, drücken, sich verstricken. Wenn im Walde die Bäume ihre Äste aneinander schlugen, mit den Zweigen sich rieben, stöhnten oder ächzten, so sah man hier den Akt der Begattung. So glaubt das Volk noch heute (z. B. bei Northeim):

„Wenn in den Twölwen (Zwölfnächten) de Böme gaud böcket so gift et vele owest“.

Der Ausdruck „böcken“ ist von bock abzuleiten, heißt also ursprünglich = bocken, coire. Ähnlich wie die Bäume trieben es die kleineren Pflanzen, deren geheimes Liebesleben sich öfters unter der Erde abspielte. Entdeckte man doch an den Wurzeln Bildungen, die den menschlichen Geschlechtsorganen gar zu ähnlich waren. Der geschlechtliche Vorgang in der Befruchtung durch Blütenstaub ist erst später dem Menschen zum Verständnis gekommen. — Hatte nun diese menschenähnliche Begattung der Pflanzen untereinander stattgefunden, kamen Blüten und später Früchte als deren Ergebnis zustande. Besonders in den Früchten konzentrierte sich die Lebenskraft des Dämons der Pflanze. In diesen Früchten nisteten nämlich bisweilen Würmer oder Maden, die der Naturmensch als das belebende Prinzip, als den Dämon des Baumes erkannte.  Er konnte sich ja ihr Dasein mitten in den Früchten nicht anders als aus dem Baum heraus erklären. Also nur diese Maden- oder Würmerfrüchte werden ursprünglich als die fruchtbar machenden, schwängernden gehalten worden sein, wie denn noch heute unfruchtbaren Frauen der Südslaven wurmstichige Haselnüsse suchen und sie aufessen, um fruchtbar zu werden.

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