Vorwort zu „Deutsche Weihnachtslieder“ (Simrock)
Karl Simrock (in: „Deutsche Weihnachtslieder“ (Eine Festgabe))
Auch mein‘ ich nicht deshalb Tadel zu verdienen, weil ich bemüht gewesen bin, jene ältern in Sprache und Versbau seit Jahrhunderten vernachlässigten Lieder uns durch Erneuerung möglichst wieder anzueignen, während ich die jüngern in der Gestalt gab, in welcher sie mir überliefert waren.
Mitten in den kalten Winter fällt die schöne Weihnachtszeit, ja sie füllt, wenn wir ihre Vorfeier und Nachfeier, den Advent- und die Epiphanientage hinzurechnen, das Herz der kalten, dunkeln Jahreshälfte aus. Ist es doch, als wollte sie durch milde Herzenswärme den Frost des Winters vergüten, als sollte das neugeborene Licht, vom Weihnachtsbaum in tausend Kerzen zurückgestrahlt, die öde Nacht des Winters erhellen.
Was das christliche Weihnachtsfest betrifft, so ist wenigstens der historische Zusammenhang ein anderer. Christus ist nicht im kalten Norden geboren, und das noch viel jüngere Weihnachtsfest ward zuerst in warmen Gegenden eingeführt, wo der Winter so strenge Gewalt nicht übte.
Aber dem christlichen Weihnachtsfest ging ein heidnisches voraus, im höhern Norden Jul genannt. Hier fiel es in eine sehr kalte und beinah lichtlose Zeit, wo die Sonne selbst am Tage kaum sichtbar ward. Doch nach dem kürzesten Tage nimmt das fast ganz hingeschwundene Licht wieder zu: das ist es, was wir Wintersonnenwende nennen: das Ende des alten, der Anfang des neuen natürlichen Jahres. Darum fasste der deutsche Heide seine Weihnachten als das Geburtsfest der Sonne: es war ihm eine heilige Zeit, die heiligste des ganzen Jahres, bei der alle Arbeiten ruhen mussten. Zwölf Tage währte diese Feier, die so genannten Zwölften oder Zwölf Nächte, da die Tage nach Nächten, wie die Jahre nach Wintern gezählt wurden.
Die wiedergeborene Sonne dachte man sich unter dem Bilde eines Ebers, dessen goldene Borsten den Sonnenstrahlen glichen. Diesen Eber, Gullinbursti genannt, kennen wir als das geheiligte Tier, das Symbol des Sonnengottes Freyr oder Fro. Darum bildete beim Julfest, wie noch jetzt in England, der Schweinskopf das Hauptgericht. Wir wissen, dass dort noch in christlicher Zeit beim Auftragen dieser Schüssel die Zeilen gesungen wurden:
Caput apri defero
Laudes reddens domino.
Der heidnische Nordmann legte auf diesen Eber Gelübde ab, indem er zugleich Bragis Becher leerte. Die Hand auf dem Eberhaupt vermaß er sich irgend einer kühnen Tat, die noch innerhalb des jetzt beginnenden Jahres vollbracht werden und würdig sein sollte, im Gesange fortzuleben. Das bedeutete wohl Bragis Becher, denn Bragi war der Gott des Gesangs. In England trat bei solchen Verheißungen wohl auch der Schwan an die Stelle des Ebers; in Frankreich der Pfau, wovon das Volksbuch von Hugschapler ein ansprechendes Beispiel gewährt. Doch ist dies Gelübde schon vom Weihnachtsfest abgelöst, was in so später, längst christlicher Zeit, aus der dies Volksbuch herrührt, nicht verwundern kann.
Volksmusik: Volksliedbücher, Volksmusik Praxis
Siehe dazu auch:
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1828) ()
- Allgemeines Schweizer Liederbuch (Vorwort, 1833) ()
- Als der Großvater die Großmutter nahm (Auflage 1922) ()
- Die Bedeutung des Liedes für die Auswanderung (Auswandererlieder)
- Einleitung: Demokratische Volkslieder ()
- Geschichtliche Entwicklung der Heimathymnen ()
- Kinderlieder ()
- Ministerium stoppt Bundeswehr-Liederbuch ()
- Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala“ (=Peterlein) ()
- Neue Soldaten- und Marschlieder (1916) (Allgemein)
- Schlesische Volkslieder (1842): Vorwort ()
- Schlesische Volkslieder: Vorwort von Ernst Richter ()