Vorwort zu „Deutsche Weihnachtslieder“ (Simrock)

Karl Simrock (in: „Deutsche Weihnachtslieder“ (Eine Festgabe))

Auch stellt sich in diesen und verwandten Gestalten und Gebräuchen, die Weinhold, Weihnachtsspiele und Lieder, ausführlich geschildert hat, das Heidentum keineswegs von seiner edlen Seite dar. Es war aber natürlich, dass sie unter der Herrschaft des Christentums verwahrlosten und entarteten. Die Frage, ob der grüne Weihnachtsbaum mit seinen unzähligen Lichtern noch aus dem Heidentum stamme, glaube ich indes nicht ganz übergehen zu dürfen.

Entscheiden lässt sie sich nicht: was wir für unsere Ansicht anführen könnten, sind nichts als Märchen und diese fallen nicht schwer ins Gewicht: wissen wir doch nicht einmal, wann sie entstanden sind, und ob nicht etwa gar christliche Vorstellungen Eingang in sie gefunden haben. Ich ziele zunächst auf Aschenputtels Bäumchen, das auf dem Grabe ihrer Mutter stand und dem sie zurief:

Bäumchen, rüttel und schüttel dich,
Wirf Gold und Silber über mich!

Verwandt ist das Märchen vom Machandelboom, womit der ewig grüne Wachholder gemeint ist, dem uralte Heiligkeit zukam, und dessen verjüngende Kraft sich an dem Knaben bewährte, den die böse Stiefmutter geschlachtet hatte. Wem fällt nicht auch das von Frau Holle ein, wo das in die Unterwelt geratene mitleidige Mädchen die Äpfel von dem Baume schüttelt, der unter seiner Last erseufzt. In zahlreichen andern Märchen wird die Aufgabe gestellt, Äpfel vom Baume des Lebens zu holen. Dieser Baum mit goldenen Äpfeln kommt auch in dem Märchen von Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein vor: es sind wohl dieselben Äpfel, welche Idunn vom Weltbaum gebrochen hat, denn nicht immer ist er eine Esche, öfter wird er als Apfel- oder Birnbaum gefasst. Ich erinnere an den Birnbaum im Eingang des Renner und den bekannten Birnbaum auf dem Walserfelde, der nichts als der verdorrte, in der verjüngten Welt wiederergrünende Weltbaum ist. Für den Tag der Geburt Christi historische Zeugnisse vor- zulegen ist unseres Amtes nicht. Gewiss fällt aber ihre Feier sehr glücklich in die Zeit, welche von jeher der Wiedergeburt des Lichtes gewidmet war. Denn Christus war das Licht der Welt, der Tag, der in die lange Nacht des Heidentums schien. Darum war auch dieses Fest das herrlichste von allen, wie es schon als die Quelle aller übrigen den Vorzug verdiente. Auch im Volke spricht sich die Heiligkeit dieser Zeit in mancherlei Aberglauben aus. In der Weihnacht wandelt sich alles Wasser zu Wein, in der Weihnacht wird die Zukunft erforscht, indem man siedendes Blei ins Wasser gießt und aus den Gestalten, die das Blei annimmt, prophezeit; in der Weihnacht unterredet sich das Vieh im Stalle, und wer an den goldenen Sonntagen geboren ist, kann es verstehen und viel Verborgenes erfahren. So wird auch die Witterung der Zwölf Nächte beobachtet, weil sie vorbedeutend ist für die Witterung der Zwölf Monate des Jahres. Mag Manches hiervon noch dem Heidentum angehören; das christliche Fest musste sich tiefer in die Herzen senken. War der Heide noch ganz in der Natur befangen geblieben, so fühlte sich der Christ in ein geistiges Gebiet erhoben. Statt der Erlösung aus den Banden des Winters, dem Tod der Natur, sah er sich von den Fesseln der Sünde, dem Tod des Geistes entbunden. Darum ist dies Fest schon früh aus der Kirche in das Haus gedrungen und alle Künste haben es zu verherrlichen gewetteifert, denn hier hatten sie ihre höchste Aufgabe gefunden, wie es Schiller schön mit den Worten ausdrückt:

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