Weihnachtsabend in Crimmitschau

Sie feierten doch die „heil’ge Nacht
Trotz Verbot, Gendarmen und alledem
Ein riesenhafter Weihnachtsbaum war es, den die Welt der Armen ihren bedrängten Brüdern und Schwestern und den zahlreichen Kindern in der sächsischen Weber- und Spinnerstadt Crimmitschau errichtet hatte; ein Weihnachtsbaum, dessen strahlende Kerzen den 7000 Ausgesperrten auf lange hinaus noch helles, sieg verheißendes Licht spenden, ihren brutalen Widersachern aber —- hoffentlich für immer — ein ernstlich mahnendes Menetekel sein und bleiben werden. Die geplanten Weihnachtsfeierlichkeiten, auch die auf altenburgischen Gebiete, wurden zwar verboten, die Hoffnung aber dadurch die heldenhafte Einmütigkeit der Ausgesperrten zu dämpfen hat sich schon als ein grober Irrtum erwiesen. Die Ausgesperrten haben nicht nur doppelte Unterstützung erhalten, sondern auch eine Weihnachtsbescherung, deren Gabenreichtum fast ins Fabelhafte ging. Zwei Tage lang wurde verteilt, am Weihnachtsabend war der Reichtum erst zur Hälfte erschöpft, so dass die Bescherumg nach den Feiertagen fortgesetzt wird.
Mit dieser Weihnachtsbescherung ist viel, sehr viel Not und Elend gelindert, manche Träne getrocknet worden. Höchstens noch Tränen der Freude und Rührung rollten über die bleichen Wangen der so reichlich Beschenktmen, die vollbefriedigt und mit dankbar frohem Lächeln auf den sonst so ernst blickenden Gesichtern der Gabentempel verließen, in dem Bewußtsein, beglückt worden zu sein vom auch ferner bestehenden Völkerbunde der Arbeit!
Und am Weihnachtsabend fanden sich nach und nach — ungerufen natürlich — die Ausgesperrten je zu mehreren Hunderten (ganz wie der Platz reichte) in verschiedenen Lokalen zusammen zur zwanglosen Unterhaltung. Überall die gehobenste Stimmung, die nur in etwas getrübt wurde durch die eintreffende Nachricht, dass mehrere Ausgesperrte, die auswärts Beschäftigung gefunden, an diesem Weihnachtsabend auf Veranlassung des Verbandes der industriellen Scharfmacher als Weihnachtsgeschenk — Entlassungsscheine erhalten haben.
Volksmusik: Zeitgeschehen
Liederzeit: 1871-1918: Deutsches Kaiserreich
Ort: Crimmitschau
Siehe dazu auch:
- Betrifft „Hamburger Swing-Kreise“ (Edelweißpiraten)
- Das Attentat des Bürgermeisters Tschech vom 26. Juli 1844 ()
- Der alte Gewerkschafter Xaver – Anekdote (Weberlieder)
- Der Ruhrkampf 1920 (Lieder der Maerzrevolution 1920)
- Die hessischen Söldner bei Schiller (Auswandererlieder)
- Die toten Bergleute in Hausdorf in Schlesien (Bergmannslieder)
- Die Wacht am Rhein (Ernst Toller, 1914) ()
- Ein Besuch in Barackia (Allgemein)
- Ein Fest für Robert Blum (1848) ()
- Ellis Island (Auswandererlieder)
- Erlebnisse von der Hausagitation (Allgemein)
- Fremde in Amerika (Auswandererlieder)