Liedergeschichte: Lied der Wanderarbeiter um 1860
Zur Geschichte von "Lied der Wanderarbeiter um 1860": Parodien, Versionen und Variationen.
Um 1860 wurden in ganz Deutschland, besonders aber in Norddeutschland, im preußischen Gebiet, fieberhaft Straßen und Eisenbahnen gebaut, wobei als Erdarbeiter damals nur Deutsche tätig waren, während später, besonders nach 1890, zunehmend billigere italienische, polnische, slowakische u. a. ausländische Arbeiter herangezogen wurden.
„„O Hüneburg, o Hüneburg, wie brummten meine Knochen! Das war ein Stück Arbeit, das will ich jedem versichern. Wer das nicht mitgemacht hat, der kennt das nicht. Aber es ging alles nur um das liebe Geld, das musste man haben, das war der ganze Zwang, anders war da keiner“ (in: „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines Arbeiters“ S. 134)
„Das kleine Lippe hatte vor dem 1. Weltkriege das größte Kontingent an Wanderarbeitern (etwa 20.000), die jeden Sommer als Ziegelstreicher und Brauer die Ziegeleien Norddeutschlands und Hollands bevölkerten und dort in sehr harter 14 bis 16-stündiger Arbeit ihr Brot verdienten.“
Wer Geld an der Eisenbahn will verdienen (1894)
Wenn die Ziegler wollen was verdienen (1897)
Des Morgens um halb fünfe (Bei Tiedemann an der Chaussee) (1900)
Des Morgens um halb fünfe (1900)
Wolfgang Steinitz schreibt 1954: „Es waren die 1860er Jahre, als sich die sozialistische und die gewerkschaftliche Arbeiterbewegung in Deutschland erst zu formieren begann. Die Erdarbeiter waren ohne jede Gewerkschaftliche Organisation und wurden von den Unternehmern und ihren Beauftragten, den Schachtmeistern, rücksichtslos ausgebeutet.
In dieser Situation entstand unser Lied, das das einzige durch Raum und Zeit weitbreitete und äußerst beliebte Lied der deutschen vorsozialistischen Arbeiterbewegung darstellt. Obgleich die Sammlung von Arbeiterliedern völlig vernachlässigt worden ist, ist es schon jetzt aus zahlreichen Gegenden des alten deutschen Reichs belegt (Oldenburg, Dithmarschen, Lippe, Hessen-Nassau, Spessart, Sachsen, Schlesien, Pommern, jedoch nicht aus Süddeutschland 1), und zwar in der Zeit von 1870 bis 1949. Es ist sogar von holländischen Arbeitern, die an Bauten in Nordwestdeutschland beschäftigt waren, vor 1910 aufgenommen und bis jetzt gesungen worden. Es ist aber nicht nur das Lied der Eisenbahn-, Kanal- und Straßenbauarbeiter gewesen, sondern dank seines so volkstümlichen Imhalts – knappe Schilderung der schweren Arbeit, schroffer Protest gegen den lohndrückenden Schachtmeister, Klage von Frau und Kind – von mehreren anderen Arbeitergruppeıı aufgegriffen und auf ihre Verhältnisse übertragen worden; vgl. das Bergarbeiterlied aus den 70er Jahren „Der Steiger muß sich was schämen“ (Nr. 111); das Landarbeiterlied „Ihr Bauern müßt Euch schämen“ (Nr. 41); das Bauarbeiterlied „Der Polier und auch der Meister, die werden immer dreister“ (Nr. 126).“ (Steinitz, I, S. 301)

